Es war eine der großen Nachrichten im Dieselskandal der vergangenen Woche: Nach den jüngsten Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Abgasskandal und den zahlreichen verbraucherfreundlichen Urteilen von Land- und Oberlandesgerichten in ganz Deutschland stellt der VW-Konzern rund 50.000 Dieselkunden Schadensersatz in Aussicht. Angesprochen sollen werden diejenigen, die derzeit mit Individualklagen gegen die Volkswagen AG wegen Betrugshaftung vorgehen beziehungsweise vorgehen wollen. Mit mehr als der Hälfte dieser Einzelkläger laufen über Anwaltskanzleien bereits Gespräche über ein entsprechendes Vergleichsangebot, wie die Deutsche Presse-Agentur aus dem Unternehmen erfuhr und die Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ berichtet. Davon seien die Verhandlungen in etwa 7.000 Fällen inzwischen erfolgreich beendet. Die noch laufenden Verfahren sollten bis zum Ende des Jahres zu einem großen Teil im Einvernehmen mit den Klägern beendet werden, hieß es. Es soll für diese geschädigten Verbraucher Einmalzahlungen geben, die jeweils individuell berechnet werden. Wer das Geld annimmt, kann auch das Auto behalten.
Die Alternative dazu ist, das Urteil im eigenen Verfahren abzuwarten. Dann können Kläger unter Umständen den Kaufpreis abzüglich eines Betrags für die Nutzung des Fahrzeugs erhalten und müssen den Wagen im Rahmen dieser Rückabwicklung an Volkswagen zurückgeben. Die Urteile zu den betroffenen Diesel-Fahrzeugen mit dem Euro 5-Motor EA189 und dem Euro 6-Motor EA288 sprechen eine deutliche Sprache. Da Volkswagen oftmals auch zur Zahlung deliktischer Entziehungszinsen verurteilt wird, erhalten geschädigte Verbraucher trotz der Nutzungsentschädigung in vielen Fällen oftmals annähernd den gesamten Kaufpreis zurückerhalten.
Wir sind sicher, dass die Angebote für VW-Besitzer meistens nicht an die finanziellen Kompensationen heranreichen werden, die bei Individualklagen möglich sind. Wir raten daher ganz überwiegend zum Weg der Einzel-Betrugshaftungsklage. Die deutschen Gerichte urteilen immer wieder sehr verbraucherfreundlich und sprechen den Geschädigten hohe Kompensationen bei Diesel-Abgasmanipulationen zu.“ Ähnlich verhalte es sich mit Sammelklagen im Dieselskandal. Auch diese seien nicht sonderlich erfolgversprechend, wie die kürzlich erfolgte Ablehnung einer Sammelklage am Landgericht Landshut von 2.850 Audi- und VW-Kunden gegen den Automobilkonzern auf Entschädigungszahlungen im Zuge des Dieselskandals zeigt. Dabei ging es den Richtern um einen erheblichen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz aufgrund einer Klausel der Abtretungsvereinbarung der als Klägervertreterin auftretenden Financialright GmbH mit ihren Mandanten.
Das ist für die geschädigten Verbraucher natürlich ein ärgerliches Urteil. Immerhin ist es in dem Verfahren um Schadensersatzansprüche von gut 77 Millionen Euro gegangen. Dabei sind die Chancen, Schadensersatz aufgrund des vorsätzlichen sittenwidrigen Betrugs für ein Fahrzeug mit dem VW-Dieselmotor EA189 zu erhalten, so groß wie kaum zuvor, weil die Gerichte eben sehr verbraucherfreundlich urteilen. Zum anderen bedeutet die Sammelklage nicht, dass geschädigte Verbraucher im Diesel-Abgasskandal individuell entschädigt werden. Vielmehr steht zu erwarten, dass ihnen ein allgemein verhandelter Schadensersatz zugesprochen wird, der ihrem individuellen Sachverhalt nicht zwingend gerecht wird.
. Im Gegensatz zur in Deutschland zulässigen Musterfeststellungsklage können Verbraucher bei den EU-Kollektivklagen direkt entschädigt werden. Bei der Musterfeststellungsklage wird nämlich nur geklärt, ob die Konsumenten, die sich der Klage angeschlossen haben, überhaupt Anspruch auf Entschädigung haben. Aber zum einen haben die EU-Staaten nach Inkrafttreten der Richtlinie zwei Jahre Zeit, die Regelung in nationales Recht umzusetzen, und weitere sechs Monate, um sie anzuwenden. Es dauert also noch eine geraume Zeit, bis Verbraucherschutzorganisationen für Geschädigte gebündelt vorgehen können. Es bleibt für Dr. Gerrit W. Hartung also dabei, dass die Individualklage für geschädigte Dieselkäufer der kürzeste Weg mit den höchsten Erfolgsaussichten im Dieselskandal ist.
Natürlich gilt dies beim Dieselgate 1.0-Motor EA189 sowie dem vermeintlich sauberen VW-Nachfolgemotor EA288 mit der Abgasnorm Euro 6. Beim aktuellen Dieselgate 2.0 sprechen wir von vielen weiteren Millionen Fahrzeugen. VW-Motoren mit dem Kürzel EA288 finden sich in zahlreichen Baureihen aller Marken des Volkswagen-Konzerns. Die Dieselmotoren sind nahezu in jedem Dieselfahrzeug als 1.4 TDI, 1.6 TDI oder 2.0 TDI seit dem Jahr 2015 flächendeckend verbaut worden. Der Schaden geht in die Milliarden und kann die Ausmaße, die wir vom ersten Skandalmotor EA189 kennen, noch weit in den Schatten stellen.