Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 28. August 2020 (Az.: 1 U 137/19) für einen weiteren Paukenschlag im Daimler-Abgasskandal gesorgt. Es verwies im ein Verfahren gegen den Autokonzern mit seiner Kernmarke Mercedes-Benz an das Landgericht Lübeck zurück. Dieses hatte in erster Instanz die Ansprüche eines Klägers im Diesel-Abgasskandal wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB verneint. Es müsse vom Landgericht der vom Kläger angebotene Sachverständigenbeweis über die von ihm behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen erhoben werden. Dessen Vortrag sei hinreichend substantiiert, sodass eine Beweisaufnahme durchzuführen sei.
Dass das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein das Verfahren zur erneuten Verhandlung zurückverweist, zeigt einmal mehr, dass Gerichte die Vorträge von Geschädigten im Diesel-Abgasskandal nicht einfach ins Blaue hinein ablehnen dürfen. Sie müssen angemessen gehört und auch Sachverständigenbeweis müssen anerkannt werden. Das ist eine weitere, sehr verbraucherfreundliche Entwicklung im Dieselskandal, der neben der Daimler AG vor allem auch die Volkswagen AG mit ihren Kernmarken VW und Audi betrifft.
Der geschädigte Verbraucher hatte im März 2013 einen gebrauchten Mercedes-Benz C 300 CDI mit einem Kilometerstand von 49.120 Kilometern zu einem Preis von 35.490 Euro gekauft. Für das Fahrzeug mit dem Dieselmotor OM 642 und der Schadstoffklasse Euro 5 eingestuft ist in der Vergangenheit bereits eine „freiwillige Kundendienstmaßnahme“ angeordnet worden, um bestimmte Mängel bei der Abgasrückführung zu beheben. Das Besondere an dem Verfahren: Der Kläger hat das Fahrzeug am 20. November 2019 für 13.000 Euro an einen Bekannten verkauft. Für das Landgericht Lübeck ist der Schaden des Verbrauchers durch den Verkauf weggefallen. Das sieht das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein anders. Der Schaden des Klägers sei eben auch nicht dadurch weggefallen, dass er das Fahrzeug zwischenzeitlich verkauft habe. Dadurch sei eine Befreiung von der ungewollten Verbindlichkeit nicht eingetreten. Das Landgericht Lübeck muss nunmehr Sachverständigenbeweis erheben.
Vielmehr sei das Verhalten der Daimler AG als vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung zu bewerten. In dem Motor wird der Stickoxidausstoß über eine Abgasrückführung minimiert und ein sogenanntes Thermofenster mit einer Software eingesetzt, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen. Dabei handelt es sich also um eine nicht zulässige Abschalteinrichtung. Dass Abschaltvorrichtungen illegal sind, wenn sie zu einem erhöhten Emissionsausstoß im realen Straßenbetrieb führen, hat die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof Eleanora Sharpston in einem vielbeachteten Verfahren am 30. April 2020 klargemacht. Diese Vorrichtungen seien nur in ganz engen Grenzen und nur zum unmittelbaren Schutz des Motors erlaubt.
Eigentümer von Mercedes-Benz-Dieseln sollten sich also auch nicht von einer Betrugshaftungsklage abhalten lassen, wenn sie ihr Fahrzeug zwischenzeitlich verkauft haben. Sie sind beim ursprünglichen Erwerb getäuscht worden, sodass ihnen Schadensersatz zusteht, weil sie seinerzeit einen Mercedes-Benz mit Dieselmotor in Treu und Glauben an die Zulässigkeit des Motors gekauft haben. Die individuelle Betrugshaftungsklage steht also auch ihnen offen.
Viele Mercedes-Benz-Diesel sind mit illegalen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Besonders betroffen sind die Motoren des Typs OM 651, OM 622, OM 626, OM 654, OM 642 und OM 656, dementsprechend hat es auch schon diverse Rückrufe für Mercedes-Modelle mit Dieselmotoren gegeben. Insgesamt klettert die Zahl der vom Abgasskandal betroffenen Mercedes-Fahrzeuge weltweit bereits auf insgesamt 1,5 Millionen, davon weit mehr als 600.000 in Deutschland.