Die Zahnräder im Volkswagen-Diesel-Abgasskandal drehen sich unaufhaltsam weiter. Gleich zwei Landgerichte haben im Rahmen von Schadensersatzverfahren wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen den Volkswagen-Konzern den Beschluss gefasst, dass schriftliche Gutachten über die mögliche Verwendung von Abgas-Manipulations-Software angefertigt werden sollen. Diese sollen belegen, ob in den Fahrzeugen tatsächlich durch bestimmte Technologien der Motor so beeinflusst wird, dass die Abgasrückführung im Straßenverkehr anders geregelt wird als auf dem Prüfstand und in der Folge mehr umweltschädliche Stickoxide ausgestoßen werden als eigentlich angegeben.
Zumindest ein Beschluss bezieht sich dezidiert auf ein VW-Fahrzeug mit dem Motor EA288. Die als vermeintlich saubere Dieselmodelle deklarierten Fahrzeuge verfügen ebenfalls über eine sittenwidrige Zykluserkennung. Als Zykluserkennung wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem ein Fahrzeug erkennt, wenn es einen bestimmten Fahrzyklus auf einem Rollenprüfstand abfährt und die Motorsteuerung auf ein entsprechend schadstoffarmes Kennfeld umschaltet. Zudem nutzt VW beim Motorentyp EA288 sogenannte „Thermofenster“ aus. Das sind Temperaturbereiche, bei denen die Abgasreinigung heruntergefahren wird, um den Motor zu schonen.
Dass Gerichte nun auf schriftliche Gutachten bestehen, um die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung technisch nachzuweisen, ist ein weiterer Schritt in der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung im VW-Dieselabgasskandal. Autohersteller, die mit illegalen Abschalteinrichtungen gearbeitet haben, geraten so mehr und mehr unter Zugzwang, wenn unabhängige Sachverständige die Technologien genau überprüfen.
Das Vorgehen gründet auch auf einem Urteil vor dem Bundesgerichtshof (BGH), das Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung mit einem kooperierenden BGH-Anwalt erstritten hat. Der BGH hat mit Beschluss vom 28. Januar 2020 entschieden (Az.: VIII ZR 57/19), dass Schadensersatzansprüche im Abgasskandal gegen die Daimler AG (Mercedes-Benz) von einem Gericht nicht einfach als Behauptungen „ins Blaue hinein“ abgewiesen werden können. Das gilt auch dann, wenn kein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegt. Vielmehr ist das Gericht laut dem BGH gehalten, ein angebotenes Sachverständigengutachten auch einzuholen, da ansonsten der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt wird.