Der Bundesgerichtshof hat sich in verschiedenen Verfahren Ende Juli 2020 nochmals eingehend mit dem VW-Dieselskandal der ersten Schummeldiesel-Generation auseinandergesetzt. Einhellig haben die Richter herausgestellt, dass die Volkswagen AG sich wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB beim Motorentyp EA 189 schadensersatzpflichtig gemacht hat – die generelle Haftung könne nicht verneint werden. Ein BGH-Urteil bezieht sich auch auf den Einsatz der Software-Updates im Rahmen des VW-Dieselskandals (Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 367/19).
Im vorliegenden Fall erwarb der geschädigte Verbraucher im April 20213 einen VW Tiguan 2.0 TDI zu einem Preis von 21.500 Euro. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 mit der Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet. „Die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und schaltete in diesem Falle in einen Stickoxid-optimierten Modus. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete Mitte Oktober 2015 einen Rückruf an, der auch das Fahrzeug des Klägers betraf. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Februar 2017 durchführen“, schreibt das Gericht.
Das Landgericht Braunschweig hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Braunschweig hatte auch keinen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Ansprüche seien ausgeschlossen, weil der Kläger nicht schlüssig dargelegt habe, welche konkrete Person aus dem in Betracht kommenden Täterkreis den Betrugstatbestand verwirklicht beziehungsweise den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Abgesehen davon fehle es an einem Schaden des Klägers.
Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des BGH hat das angefochtene Urteil unter Anwendung der Grundsätze seines Urteils vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht vom Kläger laut Dr. Gerrit W. Hartung einen näheren Vortrag dazu verlangt, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich sei. „Das von der Volkswagen AG im Diesel-Abgasskandal angebotene und aufgespielte Software-Update für den Motor EA 189 hat den Schaden der Verbraucher nicht behoben. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers nicht dadurch entfallen, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update durchgeführt hat. Der Schaden des Verbrauchers ist damit in dem Moment entstanden, als er den Kaufvertrag abgeschlossen hat“, betont Dr. Gerrit W. Hartung.
Mit Urteil vom 30. Juli 2020 (Az.: VI ZR 5/20) hat der BGH Schadensersatzansprüche verneint, wenn ein Käufer einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft hat. Aufgrund der Mitteilung der Volkswagen AG am 22. September 2015 und der Medienberichterstattung sei klar gewesen, dass bei nach diesem Zeitpunkt gekauften gebrauchten VW-Dieseln keine vorschriftsgemäße Abgastechnik vorliege. Es ist dabei äußerst wichtig zu verstehen, dass die Kenntnis-Problematik ab 2016 ausschließlich für den VW-Motorentyp EA 189 gilt. Es wird nun schwierig, für nach Bekanntwerden des Dieselskandals gekaufte EA 189-Gebrauchtwagen Schadensersatz zu erhalten. Viele Gerichte sehen es aber als erwiesen an, dass auch der vermeintlich saubere VW-Nachfolge-Dieselmotor EA 288 der Abgasnorm Euro 6 unzulässige Abschalteinrichtungen enthält. Im EA 288 sind unter anderem zudem auch sogenannte Thermofenster verbaut, die der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am 30. April 2020 in einem Gutachten als temperaturabhängige Abschalteinrichtung als eindeutig unzulässig eingestuft hat.
Beim aktuellen Dieselgate 2.0 sprechen wir von vielen Millionen Fahrzeugen. Motoren mit dem Kürzel EA 288 finden sich in zahlreichen Baureihen aller Marken des Volkswagen-Konzerns. Die Dieselmotoren sind nahezu in jedem Dieselfahrzeug als 1.4 TDI, 1.6 TDI oder 2.0 TDI seit dem Jahr 2015 flächendeckend verbaut worden. Der Schaden geht in die Milliarden und kann die Ausmaße, die wir vom ersten Skandalmotor EA 189 kennen, noch weit in den Schatten stellen.